Deutsche können ans Ausland ausgeliefert werden

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Bild: pixabay.de

Ist Ihnen klar, dass Sie an ausländische Strafverfolgungsbehörden ausgeliefert werden können, obwohl Sie deutscher Staatsbürger sind? Dazu sind nur ein Staatsanwalt und ein Oberlandesgericht nötig. Es ist nicht einmal in jedem Fall zwingend vorgeschrieben, dass der Verfolgte durch einen Rechtsanwalt unterstützt wird.

Bis zum Jahr 2000 verstieß die Auslieferung von Deutschen an das Ausland gegen das Grundgesetz. In Artikel 16 (2) hieß es: „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.“ Punkt. Aber ein Grundgesetz kann man ja ändern … Artikel 16 (2) GG in der Neufassung: „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.“

Was soll das Ganze? Beginnen wir mit dem zweiten Fall. Internationale Gerichtshöfe wurden eingerichtet, da in verschiedenen Ländern die Justiz zusammengebrochen war und beispielsweise Kriegsverbrechen nicht verfolgt werden konnten. In jedem anderen Fall ist es möglich, über jede Straftat vor einem einheimischen Gericht zu verhandeln. Nun mag es Anzeichen geben, die für eine Erosion des Rechtsstaats in Deutschland sprechen. Doch ist es bereits so schlimm, dass man auf internationale Gerichtshöfe zurückgreifen muss?

Im Fall einer Auslieferung an EU-Staaten wird damit argumentiert, dass auf andere Weise die Durchsetzung des EU-Haftbefehls nicht möglich wäre, da die deutsche Justiz nicht bei allen Straftaten, die ein Deutscher im (EU-)Ausland begeht, ermitteln würde. Bei näherer Betrachtung ist dies ein vorgeschobenes Argument. Schließlich hätte man einfach ein entsprechendes Gesetz erlassen können: Wenn also ein Deutscher irgendwo in der EU eine Tat begangen hätte, die auch hierzulande strafbar ist, hätte man ihn hier auch zur Verantwortung ziehen können.

Also hat die Änderung des Artikels 16 (2) GG einen anderen Grund. Man kann vermuten, dass auch sie einer der vielen kleinen Schritte in Richtung EU-Einheitsstaat ist.

Bisher ist noch kein Deutscher ausgeliefert worden. Das bedeutet allerdings nicht, dass dies in Zukunft nicht vorkommen wird.

Anlagen: Anfrage an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und die Antwort

Die detaillierte Anfrage wurde leider nicht so detailliert beantwortet. Entscheidende Fragen bleiben offen.

Anfrage:

[Anrede],

in Artikel 16 (2) des Grundgesetzes heißt es: „(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.“

Fragt man nach, erfährt man, dass dies wegen des europäischen Haftbefehls notwendig sei.

Dazu habe ich folgende Fragen:

1.) Warum ist es bei bestehendem europäischem Haftbefehl nicht möglich, den Verdächtigen in Deutschland vor Gericht zu stellen? Können im EU-Ausland begangene Straftaten nicht in Deutschland geahndet werden?

Falls nein:

1a) Warum nicht?

Falls ja:

1b) Wozu dann eine Auslieferung, wo es doch keinen Anlass dafür gibt?

2.) Warum muss ein Deutscher an einen internationalen Gerichtshof ausgeliefert werden. Ist es nicht möglich, ihn (auch im Falle von Kriegsverbrechen etc.) in Deutschland vor Gericht zu stellen? Können im Ausland begangene Straftaten nicht mehr in Deutschland geahndet werden?

Falls nein:

2a) Warum nicht?

Falls ja:

2b) Wozu dann eine Auslieferung, wo es doch keinen Anlass dafür gibt?

Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Verantwortung für den Schutz ihrer Staatsbürger. Die Bundesregierung hat nicht die Möglichkeit, bei eventuellen Änderungen der politischen Situation die ausgelieferten Deutschen vor Willkür zu schützen.

3.) Sehen Sie dieses Problem auch?

Falls nein:

3a) Aufgrund welcher Fakten bzw. welcher Analyse können sie eine solche Entwicklung ausschließen, zumal bereits Indikatoren für eine Einschränkung des Rechtsstaats in einigen Mitgliedstaaten der EU vorliegen?

Falls ja:

3b) Auf welche Weise setzt sich das Bundesministerium für Justiz dafür ein, den ursprünglichen Artikel 16 GG (also ein absolutes Auslieferungsverbot) wieder in Kraft zu setzen?

4.) Welche Gesetze sehen, basierend auf Art. 16 (2) GG, die Auslieferung von Deutschen vor?

5.) Wie viele Deutsche sind nach der Änderung des Art. 16 (2) ausgeliefert worden?

5a) an ein Land innerhalb der der EU,

5b) an ein Land außerhalb der EU.

Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

[Unterschrift]

Antwort:

[Anrede],

vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne beantworte ich Ihre Fragen als Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz wie folgt im Zusammenhang:

Grundsätzlich können nach § 3 StGB Straftaten nur dann in Deutschland geahndet werden, wenn diese im Inland begangen wurden. Die Regelungen in den §§ 5-7 StGB machen das deutsche Strafrecht auch für bestimmte Taten, die im Ausland begangen wurden, anwendbar. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Staat die Möglichkeit haben muss, seinen Strafrechtsschutz auf Handlungen zu erstrecken, durch die inländische Rechtsgüter gefährdet oder verletzt werden, und zwar unabhängig davon, an welchem Ort die Tat begangen wird. Ob wegen einer Auslandstat eingeschritten wird oder aber von der Verfolgung nach § 153c StPO abgesehen wird, steht im Ermessen der zuständigen Staatsanwaltschaft.

Mit Blick auf Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zum Europäischen Haftbefehl (EuHb) von der eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, Regelungen über die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an einen Mitgliedstaat der EU zu schaffen. Die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zum Zwecke der Strafverfolgung an einen Mitgliedstaat der EU ist nach den Voraussetzungen der §§ 80 ff. IRG möglich. Auch bei bestehendem EuHb kann aber die Bewilligung der Auslieferung unter bestimmten Voraussetzungen abgelehnt werden. Dies kann etwa der Fall nach § 83b Abs. 1 Nr. 1 IRG sein, wenn gegen den Verfolgten in Deutschland wegen derselben Tat ein eigenes Strafverfahren geführt wird. Die Möglichkeit der Ablehnung der Bewilligung kann demnach wie eine Art „Notbremse“ wirken, um entgegen dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als Grundlage des EuHb eigenen Strafverfolgungsinteressen nachzugehen. Kriterien, wonach eine Entscheidung zugunsten der Auslieferung oder zugunsten des eigenen Strafverfahrens getroffen wird, können beispielsweise die Schwere und der Ort der Straftat, die Gewährleistung eines fairen Verfahrens oder die drohenden Rechtsfolgen sein.

Bisher ist kein deutscher Staatsbürger an einen Mitgliedstaat der EU ausgeliefert worden.

Ob eine Pflicht zur Überstellung eines deutschen Staatsbürgers oder einer deutschen Staatsbürgerin an einen internationalen Strafgerichtshof besteht, richtet sich nach den zugrunde liegenden völkerrechtlichen Regelungen und den darin enthaltenen Kooperationsverpflichtungen, soweit sie die Bundesrepublik Deutschland binden. Umgekehrt richtet sich auch die Frage, ob Kriegsverbrechen in Deutschland verfolgt werden können, danach, ob die zugrunde liegende Tat der deutschen Jurisdiktion unterfällt und nach den dafür geltenden strafrechtlichen und strafprozessualen Voraussetzungen. Dies gilt auch, wenn die angeklagten Personen keine deutschen Staatsbürger sind. In der Praxis ist dies in Bezug auf die Verfolgung des Genozids in Ruanda auch tatsächlich schon vorgekommen. Hier ist insbesondere das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) zu nennen, das nationale deutsche Straftaten für völkerstrafrechtliche Verbrechen normiert. Das VStGB korrespondiert mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), das in Art. 17 sogar gerade einen Vorrang der nationalen Strafverfolgung vor der eigenen Zuständigkeit des IStGH vorsieht.

Mit freundlichen Grüßen

[Unterschrift]

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