
Im russisch-ukrainischen Krieg scheint der Kampf um die großen Städte vorangetrieben zu werden. Die russische Armee setzt nun verstärkt auf ihre unbestrittene Feuerkraft. (Im Global Firepower Index belegt Russland im Bereich der Landstreitkräfte den ersten Rang.) Dabei werden vermehrt in der Kampfzone befindliche Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen. Hierin besteht der Unterschied zum Beginn des Krieges, als die russischen Truppen noch auf den größtmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung achteten. Das führte so weit, dass Panzer nicht weiterfuhren, wenn sich auf der Straße eine Menschenmenge versammelte. Das Dilemma der russischen Armee besteht darin, dass einerseits eine solche Rücksichtnahme zu höheren Verlusten untern den eigenen Soldaten führt, andererseits eine zu geringe Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung den politischen Zielen Russlands schadet. Doch nun nähert sich eben die russische Operationsführung dem klassischen Kampf der verbundenen Waffen. Dessen Prinzipien werden in diesem alten Manövervideo anschaulich beschrieben (Minute 09.09 bis 16.00 und 23.42 bis 27.39), sodass an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen wird.
Kurz nachdem Russland der ukrainischen Armee die Verwendung von Phosphormunition vorgeworfen hatte, wurde derselbe Vorwurf durch die Ukraine gegenüber Russland erhoben. Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten: Entweder wirft die russische Seite der Ukraine Taten vor, die sie kurze Zeit später selbst begehen wird oder die ukrainische Seite versucht von ihren Taten abzulenken, indem sie sie Russland in die Schuhe schiebt.
Dieses Phänomen ist auch bei der Frage der Massenvernichtungswaffen erkennbar. Die russische Armee hat augenscheinlich Dokumente sichergestellt, aus denen der Umfang der Erforschung gefährlicher Krankheitserreger durch die USA in der Ukraine hervorgeht. Daraufhin beschuldigte Russland die USA, den Einsatz von Biowaffen gegen Russland vorbereitet zu haben. Die Existenz von entsprechenden US-Laboren in der Ukraine wurde inzwischen bestätigt. Gleichzeitig warfen die USA Moskau vor, einen Vorwand für den Einsatz eigener biologischer Waffen zu suchen. Auch ein möglicher Chemiewaffeneinsatz durch Russland wurde in der vergangenen Woche immer wieder zur Sprache gebracht. Es stellt sich allerdings die Frage: Welche Chemiewaffen? Im September 2017 hat Russland seine letzten chemischen Waffen vernichtet. (Die USA hatten das nicht getan. Der russische Präsident Putin bemerkte dazu: „Sie haben schon dreimal die Frist zur Vernichtung hinausgeschoben, auch unter dem Vorwand, dass die nötigen Mittel im Haushalt fehlen, was, ehrlich gesagt, merkwürdig klingt.“) Es liegen auch keine Indizien für eine Neuproduktion von russischen Chemiewaffen vor.
Nun stellt sich die Frage, wem eine Freisetzung von biologischen oder chemischen Kampfstoffen in der Ukraine nutzen würde: Russland oder der Ukraine? Ein solches Ereignis wäre ein guter Vorwand für die NATO, in den Konflikt einzugreifen. (Das gilt auch für den Beschuss eines NATO-Staates aus Richtung der Ukraine.)
Die westliche Hilfe für die Ukraine erfolgt in Form umfangreicher Waffenlieferungen. Für besonders effektiv werden amerikanische Flug- und Panzerabwehrraketen (Stinger und Javelin) sowie die türkischen bewaffneten Bayraktar-Drohnen gehalten. Zur Stinger ist zu sagen, dass sie ein gutes Mittel gegen Kampfhubschrauber und Flugzeuge ist, wenn diese so tief fliegen, dass dem Piloten keine Zeit bleibt, auf den überraschenden Beschuss zu reagieren. Kampfjets, die sich nicht im Tiefflug befinden, wird man damit kaum abschießen können, da deren Piloten die Möglichkeit haben, Wärmeballons abzuschießen und auszuweichen. Zum möglichen Erfolg oder Misserfolg der Javelin-Rakete und der Bayraktar-Drohne gibt dieses Video Auskunft.
Nicht nur Waffen, auch Freiwillige strömen aus aller Welt in die Ukraine. Es sollen inzwischen 16.000 sein. Erste Verluste sind bereits vor einem Kampfeinsatz aufgetreten: Eine russische Rakete zerstörte in der Stadt Tschernigov das Hotel „Ukraina“, in dem zahlreiche ausländische Freiwillige untergebracht waren. Auch die russische Seite setzt auf ausländische Unterstützung. So sollen Freiwillige in Serbien, Syrien und der Zentralafrikanischen Republik geworben worden sein.
Die bisherigen Schwerpunkte der russischen Operationen waren augenscheinlich die Schaffung einer Landverbindung zur Krim und der Kampf um Kiew. Die Landverbindung scheint hergestellt. Ukrainische Verbände, die diese Verbindung wieder unterbrechen könnten, drohen eingeschlossen zu werden (siehe Karte). Ob Kiew direkt angegriffen wird, ist unklar. Das für Russland sinnvollste Vorgehen wäre es, die Stadt einzuschließen, jede Versorgung zu unterbinden und Fluchtkorridore für die Zivilbevölkerung einzurichten. Die Ukraine wird natürlich alles daran setzen, die Stadt zu halten. Doch letztendlich wären weder die Einnahme noch die erfolgreiche Verteidigung der Stadt kriegsentscheidend. Der ukrainische Widerstand würde selbstverständlich nicht enden, wenn Kiew gefallen ist, weshalb es für die russische Armee keinen objektiven Grund gibt, sich auf verlustreiche Häuserkämpfe einzulassen. Es ist zu vermuten, dass die russische Seite versuchen wird, weitere Geländegewinne zu erzielen, bevor Tauwetter einsetzt und weitere Angriffe im Schlamm versinken. Dann wird der Kampf hauptsächlich entlang der Straßen geführt werden, was die ukrainischen Verteidiger begünstigt.