
Zwei Menschen streben himmelwärts. Immer wieder. Getragen von der Musik Johann Sebastian Bachs. Doch vergeblich. Kurz vor dem Ziel scheitern sie. Doch sie haben einander. Immerhin …
Bereits dieser Beginn fesselte das Publikum. Sicher: Der Begriff des „gefesselten Publikums“ ist derart abgedroschen, dass er in der Berichterstattung nichts verloren hat. Doch das Publikum war gefesselt, fasziniert, hingerissen, ohne sich um derartige Konventionen zu kümmern. Was tut der Kritiker in diesem Fall? Er beginnt am Anfang.
Heute Abend hatte das Bundesjugendballett im Konzerthaus Berlin am Gendarmenmarkt den letzten Auftritt dieser Spielzeit. Die Karten war so gut wie ausverkauft, doch blieben die ersten beiden Reihen fast leer. Ob das Absicht war oder ob privilegierte Inhaber von Freikarten etwas besseres zu tun hatten, ist unklar. Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) war anwesend und ließ es sich nicht nehmen, vor Beginn eine Ansprache zu halten. Er war so einsichtig, seine Rede erfreulich kurz zu halten. Er bemängelte, dass die Theater, Opern etc. noch nicht so umfangreich besucht würden wie vor den Corona-Maßnahmen. Da er Mitglied des Senats ist, der die zum großen Teil unangemessenen Maßnahmen beschlossen hat, erschien das etwas seltsam.
Doch möge dem sein, wie ihm wolle, der Senator verschwand, das Saallicht erlosch und das Ballett begann, sein Publikum zu verzaubern. Die geneigten Leser mögen auch hierin ein Klischee wittern, allein, die Beschreibung entspricht den Tatsachen. Auf der Bühne: Verlorene Menschen, verzweifelnd, strauchelnd, doch immer sich gegenseitig aufrichtend, stark, schwach, voll Liebe und Hass, Trauer und Hoffnung. Ebenfalls auf der Bühne befanden sich die Sänger und Instrumentalmusiker; wenn auch am Rand. Ihre Bachinterpretation bildete die Grundlage für die Entfaltung einer gekonnten Choreographie, in der die Tänzer zusammen, vereinzelt, gegeneinander und miteinander aufgehen konnten.
Doch ist es überhaupt zulässig, zu geistlicher Musik, wie der Matthäuspassion, zu tanzen? Ist das nicht irgendwie respektlos? – Nein, denn die Botschaft des Werkes wurde nicht nur musikalisch, sondern auch tänzerisch ausgedrückt.
Vor dem letzten Auftritt brach schließlich Applaus aus. Das Publikum hatte sich zu lange zurückhalten müssen und konnte nicht mehr warten. Während des Beifalls am Ende der Aufführung schrien zahlreiche Zuschauer vor Begeisterung. Zu Recht. Auch der größte Pessimist konnte heute erkennen, dass die abendländische Kultur lebt und noch lange leben wird.